Seminar in Babenhausenzurück

 

Im Jugendbildungszentrum Babenhausen sitzen knapp dreißig Zehn-, Elft- und Zwölftklässler des Bertha-von-Suttner-Gymnasiums zusammen und diskutieren aufgeregt. In fünf Minuten sollen sie eine Rede halten, an der sie noch feilen.

Warum sind sie an einem Dienstag nicht in der Schule?  Weil sie sich an einem sogenannten außerschulischen Lernort intensiv mit Themen auseinandersetzen, für die im Schulalltag wenig Platz bleibt. Das Thema des dreitägigen Seminars lautet in diesem Jahr „Gift“ und beinhaltet Beiträge von Referentinnen und Referenten aus den Reihen des Pfuhler Gymnasiums. Auf akademischem Niveau hört die Gruppe Vorträge über die antiken Rhetorikkünste der Römer (Frau Fladerer und Frau Wagner), Argumentationsstrategien verschiedener prominenter Redner (Frau von Appen), das Wesen des Darknets und die ethischen Grundsätze von Hackern (Caterina Cozzi, Uni Augsburg), tierische und pflanzliche Gifte (Prof. Tomaschko, Uni Ulm) und das Wesen des Neides. Für viel Diskussionsstoff sorgt dabei der ambivalente Charakter des jeweiligen Bereichs, denn Rhetorik kann zum Beispiel nicht nur als Redekunst verwendet, sondern unter Zuhilfenahme von manipulativen Techniken zu Propaganda werden. In verschiedenen Übungsgruppen werden Dinge analysiert, in Rollenspielen ausprobiert und über Chancen und Risiken diskutiert, wobei sowohl das hohe Niveau der Schülerbeiträge die Referenten sowie die begleitenden Lehrkräfte Herrn Lörz, Herrn Kürzinger und Frau von Appen beeindrucken als auch die Fähigkeit der Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer, sich über zehn Stunden nahezu ohne Unterbrechungen auf höchst komplexe Themengebiete zu konzentrieren und auf bisher Unbekanntes einzulassen.

Die Zusammenhänge der zunächst als unvereinbar erscheinenden Bereiche werden in den Reden der Schülerinnen und Schüler deutlich: Viele verknüpfen inhaltlich das neu Erlernte aus dem IT-Bereich mit den antiken Gesetzen einer gelungenen Rede und bauen die zuvor im Plenum besprochenen rhetorischen Strategien der Beeinflussung so geschickt ein, dass sie auf höchstem Niveau ihr Thema, den Kampf gegen Verunglimpfungen im Netz, präsentieren. Das Erstaunliche daran ist, dass dies für die Mehrzahl die erste Rede ihres Lebens ist – und dass man ihnen das keinesfalls anmerkt. Im Abschlussgespräch wird dies auch von den jungen Rednern herausgestellt: Obwohl sie zuerst Angst vor dieser Aufgabe gehabt hätten, habe die Durchführung gezeigt, dass man es mit den richtigen Werkzeugen durchaus gut bewältigen könne. Dazu trägt auch bei, dass die Reden in Kleingruppen erstellt werden. Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher Jahrgangsstufen sitzen zusammen, tauschen Ideen aus, diskutieren und lernen sich dadurch auch besser kennen. Mit beeindruckender Motivation – selbst die Pausen werden genutzt, um an den Reden zu arbeiten – versuchen sie, die perfekte Möglichkeit zu finden, die Zuhörer für ihr Anliegen zu gewinnen.

Und auch der Spaß kommt an den drei Tagen nicht zu kurz. Ob bei gruppenbildenden Spieleinlagen, spontanen Spielszenen oder in den Gruppenphasen, stets ist die Stimmung ausgelassen, Lachen gehört dazu und die Schüler wachsen enger zusammen.

Die wichtigste Erkenntnis der Tage war jedoch für alle, dass man genauer hinsehen und -hören müsse, wenn angebliche Gewissheiten präsentiert würden. Zu schnell wird man nämlich Opfer von rhetorischen Strategien meinungsstarker Autoren und Redner, laufe Gefahr, deren Thesen zu übernehmen, weil sie zunächst so überzeugend wirkten. Weiß man jedoch um die Wirkungsweise dieser Techniken, kann man sie nicht nur selbst benutzen, sondern sie vor allem entlarven und gegensteuern. Diese Kompetenz im Bereich des Lesens und Textverständnisses dürfte die Königsdisziplin sein und bei den Anwesenden verhindern, auf Hetzereien und Manipulationen hereinzufallen.