Lebendige Geschichte – Zeitzeugen-Vortrag am BvSGzurück
Eine Zeitreise. Mit diesem Wort kann man den Vortrag von Jens Hase am besten beschreiben. Anderthalbstunden lang waren alle Schüler der 10. Jahrgangsstufe wie versteinert in ihren Stühlen und hörten der herzzerreißenden Geschichte des DDR-Zeitzeugen zu. In seinem Vortrag erzählte er zunächst von seiner von Propaganda geprägten Jugend und wie das Staatssystem der DDR staatskritische Menschen systematisch bei Seite schuf. „Ich durfte das natürlich nie mitbekommen, wenn mein Vater von der Bundesrepublik schwärmte“, schilderte uns Herr Hase. Dennoch konnte die Staatssicherheit diese familieninternen Gespräche enthüllen, weswegen er – obwohl er der Klassenbeste war – gezwungen war, mit 14 eine Ausbildung zu beginnen. Für uns heute ist das unvorstellbar.
Später erkrankte sein Vater. Daraufhin sahen seine Eltern nur einen Ausweg: einen sogenannten „Antrag auf Ausreise“ zu stellen und damit in Kauf zu nehmen, als absoluter Staatsfeind angesehen zu werden. Bedauerlicherweise wurde der Antrag nur für die Eltern der Familie genehmigt und plötzlich war der damals 19-Jährige auf sich allein gestellt. Er geriet in eine tiefe Depression und verfiel dem Alkohol.
Eines Tages bekam er im Westfernsehen mit, dass DDR-Bürger in die Botschaft der BRD in Prag flohen und dort auf dem Boden der Bundesrepublik Schutz suchten. Sofort erkannte er sein Ziel. Er ließ alle seine Mitmenschen – auch seine damalige Freundin – zurück und machte sich mit dem Zug auf den Weg nach Prag. Unterwegs dorthin kontrollierte ihn eine Zöllnerin der DDR und führte unter anderem eine Leibesvisitation bei ihm durch. Überraschenderweise schaffte er es dennoch bis nach Prag. „Fragt mich nicht wie, aber ich habe es irgendwie geschafft, über den Zaun der Botschaft zu klettern, ohne von den Stasi-Männern, die vor der Botschaft Wache standen, aufgehalten zu werden“, erzählte uns Herr Hase.
Für zwei Wochen war das Botschaftsgelände zusammen mit 4500 anderen Flüchtlingen sein neues Zuhause. Plötzlich stand Hans-Dietrich Genscher, der Außenminister der BRD, in der Botschaft. Dieser sorgte dafür, dass alle Flüchtlinge sicher in die Bundesrepublik Deutschland einreisen konnten, so auch Herr Hase.
Nach dieser ganzen schweren Zeit nahm seine Reise schließlich ein Ende und er war wieder mit seinen Eltern vereint. Später machte er seinen Führerschein und fuhr sogar mit seinem besten Freund nach Italien in den Urlaub. „Als ich das Schild ´Republica Italia´ gesehen habe, konnte ich zunächst nicht mehr weiterfahren. Ich musste rechts ranfahren und weinen, weil ich einfach ohne Schwierigkeiten in andere Länder reisen konnte. Diese Freiheit war unbezahlbar.“
Heute steht Jens Hase regelmäßig auf der Bühne und erzählt seine Geschichte. Dass es Menschen wie ihn gibt, ist essentiell für uns. Mit seinen Vorträgen klärt er die heutige Generation auf. Natürlich kennen wir Schüler durch den Geschichtsunterricht die Umstände der SED-Diktatur und wissen, wie es dazu kommen konnte, jedoch bin ich mir sicher, dass nur die wenigsten sich im Klaren darüber waren, wie viel Leid die Bevölkerung erleiden musste. Herr Hase hat es geschafft, uns dies näher zu bringen. Meiner Meinung nach darf seine Geschichte niemals vergessen werden.
Kevin Maierean, 10b