Souriez – vous êtes en France ! Lächelt – ihr seid in Frankreich!zurück

Frankreich-Austausch 2023 – ein Reisebericht

Der feine Nieselregen, der bretonische „Crachin“, hat aufgehört und der Himmel klart etwas auf auf dem Wochenmarkt des Städtchens Quintin. Gestern Abend sind wir  angekommen, die erste Nacht in den Familien, ein schnelles französisches Frühstück und dann mit den Austauschpartnern in die Schule, wo die deutschen Mädchen und Jungs ihre ersten Eindrücke miteinander ausgetauscht haben. Brigitte Pennors, die französische Kollegin, die im vergangenen Herbst mit ihren Schülern in Pfuhl war, führt uns jetzt gut gelaunt über den Markt und erklärt hier und da etwas. Jeden Moment drehen wir die Köpfe nach den verschiedenen intensiven Gerüchen um, die uns in die Nase steigen: Gewürze, Seifen, Blumen… und dann, plötzlich, frische Crêpes! Wir schließen die Augen und atmen tief ein! Die „Kinder“ dürfen jetzt in Gruppen alleine durch die kleine Innenstadt ziehen – ausgelassene Stimmung allerorten. Meine Kollegin Elli Wiesner und ich lachen, weil Brigitte als Einheimische alle 50 Meter Bekannte trifft: fröhliche Begrüßungen, Küsschen links, Küsschen rechts. Frankreich! Wir sind also endlich angekommen und ich spüre, wie sich das Lächeln gerade in meinem Gesicht „festtackert“! Dann fällt unser Blick wieder auf den Crêpes-Stand, vor dem sich mittlerweile eine kleine Schlange gebildet hat: „Frau Wiesner, Frau Kirschner, hier gibt’s Nutella-Crêpes für 1 Euro 30!“ Als wir uns wieder umdrehen, unterhält sich die französische Kollegin mit einer freundlichen kleinen Dame, une dame d’un certain âge, eines „gewissen Alters“ also,alte Damen“ gibt es in Frankreich nicht. Ihre Kinder hätten damals auch am Deutschland-Austausch von Jean XXIII und dem BvSG teilgenommen! Sie strahlt uns an. Und die deutschen Austauschpartner, mittlerweile selbst längst erwachsen, kämen immer noch  regelmäßig im Sommer auf den Campingplatz von Quintin! Wir plaudern weiter und freuen uns über die Herzlichkeit, mit der wir begrüßt werden. Mit ihrem Mann und den Kindern sei sie nach dem Pfuhl-Besuch ihres Sohnes auch nach Neu-Ulm gefahren, denn der wollte seinen Eltern alles zeigen, was er gesehen und erlebt hatte. Wir verabschieden uns in bester Stimmung von der netten alten Dame und treffen unsere Schüler am kleinen Lebensmittelladen, um noch die Basilika zu besichtigen, bevor es zum Mittagessen in die Schulmensa geht. Unsere Neuntklässler betrachten die Häuser der Stadt Quintin: kleine, alte, teils etwas wuchtige Steinhäuser mit unglaublich dicken Mauern und hölzernen Fensterläden. Das ist die Bretagne. Malerische, wilde Schönheit, Einladung zur Zeitreise, so anders als unsere Heimat, dass man sich völlig losgelöst fühlen kann. Timeout. Einatmen. Ausatmen. Neuer Nieselregen. Lachen. Freizeit. Freiheit. Ein bisschen Sonnenschein. Souriez! Vous êtes en France! Auf dem Rückweg zur Schule und zum Mittagessen erzählt uns einer der Schüler: „Stellen Sie sich vor! Wir haben eine Frau getroffen, die auch schon mal bei unserem Austausch mitgemacht hat, also ihre Kinder oder so!“ „Ja“, lache ich, „die haben wir auch getroffen!“ Wir reden weiter und da stellt sich heraus: Das war gar nicht dieselbe Frau! Es war eine andere.

37 Jahre Quintin-Austausch – und diesmal also wir! Jeden Morgen treffen die Deutschen sich am Bus, um Ausflüge zu machen, während unsere französischen Freundinnen und Freunde in den Unterricht gehen. Wir wandern an der Küste entlang, mal am Ärmelkanal, mal am Atlantik. Zusammen mit Monsieur Legin besuchen wir den Mont-Saint-Michel, die am dritthäufigsten besuchte Sehenswürdigkeit des Landes außerhalb von Paris, die die Neuntklässler letztes Schuljahr ausführlich im Französisch-Unterricht kennen gelernt haben. Mit Locronan sehen wir das schönste Dorf der Bretagne, ebenfalls vom französischen Kollegen, Herrn Legin, begleitet, und sitzen unglaublich lange im Bus, um an den westlichsten Punkt Frankreichs, die Pointe du Raz, zu gelangen. Dort angekommen ist das Wetter fürchterlich und wir fragen uns, ob wir da wirklich aussteigen wollen… natürlich steigen wir aus. Und laufen ganz vor bis auf die Klippen, wo einen der Wind so durchschüttelt, dass man sich dagegenstemmen muss, um nicht umzufallen! Irre Lachanfälle, Gekreische, Partystimmung! Die lange Anfahrt hat sich wohl doch gelohnt! Und dass das vor uns Amerika ist, glauben wir einfach mal. Insgesamt verbringen wir ziemlich viel Zeit im Bus, so zum Beispiel beim Ausflug ins Tal „Vallée des Saints“, wo man mehrere hundert bretonische Heilige in Form von riesigen Steinstatuen bewundern kann, die uns Madame Pennors zeigt. Auch das am Meer gelegene Saint-Malo hätten wir gerne noch länger angesehen. Zum Glück sind unsere Schülerinnen und Schüler ganz besonders gute Busreisende: Mit großem Sicherheitsabstand zu uns Erwachsenen sitzen sie ganz hinten und genießen offensichtlich ihr Zusammensein und das Leben. Die Stadt Quimper muss kurzfristig aus dem Programm gestrichen werden, denn Blockaden auf den Straßen machen die Zufahrt unmöglich. Die Proteste gegen die bereits beschlossene  Rentenreform haben sich noch nicht beruhigt. Zum Glück können wir die idyllische, autofreie Insel Ile de Bréhat mit dem Schiff erreichen und verbringen dort einen wirklich schönen Tag mit Herrn Köhler, dem Organisator und Hauptverantwortlichen unseres Austauschs auf französischer Seite. Monsieur Rézeau, der ihn vor 37 Jahren zusammen mit unserem mittlerweile im Ruhestand befindlichen Kollegen, Herrn Ernst, gegründet hat, fährt mit uns nach Vannes: Hier machen die Schülerinnen und Schüler eine Stadt-Rallye und gewinnen dabei handgefertigte bretonische Lollis und – die Siegergruppe – eine große Packung Galettes bretonnes. Ein letztes Highlight ist schließlich unser kurzer Stopp in Paris auf dem Rückweg: Trotz der Streiks und Unruhen besichtigen wir den Eiffelturm und Montmartre mit der Kirche Sacré Cœur und der Place du Tertre und schließen den Tag mit einem gemeinsamen abendlichen Kinobesuch ab.

Schüleraustausch ist Landeskundeunterricht vom Feinsten. Unsere Neuntklässlerinnen und Neuntklässler berichten uns immer wieder – oft staunend – von Unterschieden, die sie zwischen ihrem und dem französischen Leben entdeckt haben. Und wir staunen hin und wieder darüber, dass die ein oder andere Besonderheit doch eigentlich im Unterricht durchgenommen worden, aber offensichtlich nicht ins Langzeitgedächtnis oder in die Herzen durchgedrungen ist… aber das ist Austausch: Nur Erlebtes ist Wahres! Diese Straßensperren zum Beispiel: Klar, jeder wusste, dass wir irgendwann in diesen zehn Tagen wohl auf welche stoßen würden. Aber dann ist es so weit: Die große, vierspurige Straße müssen wir verlassen und auf eine zwar gepflasterte, aber ganz schmale ausweichen. Links und rechts Straßengräben, die diese Bezeichnung  verdienen, neben unserem Bus kann nur noch ein normaler PKW passieren, und der ganze Verkehr wird auf dieses Sträßchen umgeleitet. Es kommt, wie es kommen muss: ein LKW im Gegenverkehr! Entsetzen bei beiden Fahrern, unserer, Marius, sagt – das einzige Mal während der zehn Tage – etwas wirklich Unflätiges und legt des Rückwärtsgang ein. Es ist Millimeterarbeit im Schneckentempo und alle halten die Luft an! Es dauert. Und dauert. Dann kollektives Ausatmen, erleichtertes Lachen und ein Riesenapplaus! Deshalb wird keine bzw. keiner unserer Schülerinnen und Schüler jemals mehr die Streik- und Streitkultur der Franzosen vergessen, nicht, weil das Thema im Unterricht durchgenommen worden ist. Und auch wegen Marius’ mehrheitlich vergeblichen Versuchen, sein Fahrzeug neu zu betanken: teils Schlangen vor den Tankstellen, teils die Anzeige „0,00“ auf den Preistafeln, teils nur noch kleine Restmengen in den Zapfsäulen. Da lernt man, sich zum Schluss auch über einen vollen Tank richtig zu freuen!

Das Essen finden manche Jugendliche wunderbar, andere gewöhnungsbedürftig, ungewohnt natürlich auch der Rhythmus der Mahlzeiten. Morgens weckt nicht etwa der gallische Hahn unseren Schüler, nein, es schreit der Esel! Faire la bise – also Begrüßung mit Wangenkuss – findet ein Mädchen merkwürdig; ein anderes hat sich in die bretonischen Haustüren verliebt: Das war noch nie da!

Und natürlich gibt es keine zehntägige Auslandsfahrt ohne ein Minimum an Pleiten, Pech und Pannen: Nach der Besichtigung des wunderschönen Städtchens Vannes sind wir auf dem Weg zum nächsten Programmpunkt schon wieder aus dem Bus gestiegen, als ein Mädchen in Panik gerät: Sein Portemonnaie hat es in Vannes draußen auf einem Tisch vor einer Bäckerei vergessen! Mit 150,- Euro Bargeld, Personalausweis, Versicherungskarte. Ich steige mit ihr wieder in den Bus, Marius verzichtet auf seine Pause und fährt mit uns beiden zurück, während alle anderen am Hafen Port de Saint Goustan in Auray die Schönheit der Landschaft genießen. Den Geldbeutel hat ein ehrlicher Finder in der Bäckerei abgegeben! Alles wird gut.

Ein riesengroßes Dankeschön unseren wunderbaren Gastgebern! Ein sehr großes Dankeschön unseren 24 jungen Frankreich-Fahrern und -Fahrerinnen! Ihr wart so angenehm: freundlich, gelassen, gut gelaunt, unkompliziert! Ein sehr großes Dankeschön an meine Kollegin Elli Wiesner, die nach zahlreichen Austausch-Reisen nach Quintin, nunmehr im Ruhestand, wohl zum letzten Mal dabei war. Ein sehr großes Dankeschön allen Kolleginnen und Kollegen, die zwei Wochen lang mit stark ausgedünnten neunten Klassen arbeiten mussten!

Mit dem Quintin-Austausch haben wir vom Bertha-von-Suttner-Gymnasium ein Stück Gold in der Hand – danke an alle wie auch immer Beteiligten.

Brita Kirschner